Oft erlebe ich, dass mich Menschen fragen: „… und wo lesen Sie vor?“, wenn ich ihnen eröffne, dass ich vor Publikum auftrete als Erzählkünstlerin. Bisher ist das Wort „Erzählkunst“ noch nicht in aller Munde. Die Vorstellungen davon sind eher diffus und so denken die meisten Menschen spontan an das „Vorlesen“.
Erzählt wurde und wird immer, seit Menschengedenken. Aber nun ist es „Erzählkunst“? – Nein! Oder doch ein bisschen? – Erzählkunst heisst, frei und mündlich vortragen vor Menschen, die zuhören (wollen). Erzählkunst heisst, die Fantasie der Zuhörer erreichen, damit sie sich ein „Bild“ von dem Gehörten machen können.
Um einer Zuhörerschaft eine Geschichte oder ein Erlebnis zu erzählen, sind verschiedene „Zutaten“ erforderlich, damit die Zuhörer auch interessiert dabei bleiben. Wenn das Erlebnis aufregend war, genügt es vielleicht, einfach den Verlauf zu beschreiben. Mehr wird beim Empfänger der Geschichte ausgelöst, wenn die Geschichte auch lebendig erzählt und natürlich dargestellt werden kann. Eine Geschichte hat und braucht einen Spannungsbogen. Dieser Spannungsbogen muss in die Geschichte eingeflochten sein.
„Erzähl deine Geschichte mit der passenden stimmlichen Modulation, mal lauter, mal flüsternd, mal schneller gesprochen oder auch betroffen-langsam! Bring deine Geschichte mit passenden und natürlichen Gesten und Mimik vor und vergiss vor allem nicht, hier und da Pausen einzuhalten im Redefluss, um den Spannungsbogen zu unterstreichen! Wenn du das nicht beachtest, dann könnte es sein, dass dein Publikum bald genug gehört hat und sich verabschiedet. Schlimmstenfalls passiert das noch, bevor die Geschichte beendet ist.“
Darauf weise ich in Gruppen oder bei Einzelschülern immer wieder hin, oft auch bei Menschen, die einen Vortrag für ihre Kollegen oder eine wichtige Rede vorbereiten.
Sehr wichtig ist, dass der oder die Erzählkünstler-in über einen guten, das heisst recht grossen, abrufbaren Wortschatz verfügt und ein natürlicher Fluss im Sprechen während des Vortrags selbstverständlich ist. Genauso bedeutend ist eine klare und deutliche Aussprache! Akzent oder Dialekt können eine Geschichte sehr bereichern! Aber auch dann ist eine klare und wohlklingende Stimme, die sauber zu artikulieren versteht, das worum sich ein Erzählkünstler-in ernsthaft bemühen sollte.
Schon oft habe ich das erklärt, sowohl in Kursen und Workshops, als auch einzelnen interessierten Fragestellern. – Nur, diese Erklärung allein reicht in den allermeisten Fällen nicht aus. Es bedarf einiger Anstrengungen und Übung, um diesem Ziel näher zu kommen. Es braucht einen gewissen Mut, sich vor ein Auditorium zu stellen und zu erzählen, oder vorzutragen. Das häufig auftretende Lampenfieber muss im Zaum gehalten werden können.
All das sollte selbstverständlich von Erzählkünstlern-innen beherrscht werden können. Übung und Training führen zu mehr Sicherheit und ein wichtiger Baustein ist das Lernen von professionellen Sprechern, Schauspielern, Rednern, und Erzählkünstlern, die aus ihrem Erfahrungsschatz schöpfen und ihr Wissen verständlich und insbesondere wertschätzend(!) weitergeben mögen.
….. Aber dann wäre es doch viel einfacher, eben „nur“ vorzulesen! Das könnte jetzt jemand einwenden oder denken. Nun, auch dazu gibt es manches zu sagen, zu schreiben und zu lernen. Das jedoch ist ein neues Thema, zu dem ich ein anderes Mal etwas schreiben werde.